Samstag, 12. Dezember 2015

Liebessprung [Leseprobe] Christinane Bößel

 
( ... ) Ein Berg von Kissen hält ihn aufrecht, ich füttere ihn mit Flädle in Instant-Gemüsebrühe. Bei jedem Löffel schließt er die Augen und schluckt genüsslich, als ob er nie etwas Besseres gegess
en hätte.
„Streck die Zunge raus“, befehle ich, lege eine Voltaren darauf und halte ihm ein Glas Wasser an die Lippen.
Er schluckt gehorsam und fixiert mich wieder mit diesem intensiv blauen Blick. Ich bin nicht in der Lage, das Glas abzustellen, bin mit halb ausgestrecktem Arm erstarrt wie ein Parkinsonkranker. Er sieht unverschämt gut aus und ich muss mich beherrschen, ihn nicht einfach zu küssen. Aber das wäre Ausnutzen von Abhängigen. Außerdem kennt er mich erst seit wenigen Stunden. Deswegen wende ich mich schnell ab. Es ist mehr. Mehr als nur sein gutes Aussehen und sein sexy Körper. Mehr als ich verstandesmäßig begreifen kann. Es fühlt sich an wie in der Leopardenspur, wenn man durch die Zentrifugalkraft aneinandergepresst wird. Hier allerdings nicht rein körperlich, sondern zusätzlich seelisch und emotional.
„Nachher stecke ich dich in die Badewanne. Schluss mit wochenlanger Katzenwäsche im Bett. Und du bekommst wieder richtige Klamotten“, fliehe ich in vertrautes Krankenschwester-Terrain.
Nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf führe ich ihn ins Bad. Er stützt sich schwer auf mich und hüpft auf seinem gesunden Bein, das andere ist immer noch eingegipst und darf nur eingeschränkt belastet werden. Sein Krankenhaus-Flügelhemd steht hinten offen und entblößt seinen perfekten Hintern und seinen muskulösen Rücken. Er geniert sich offenbar gar nicht, auch nicht, als ich ihn in die Wanne hieve und ihn ausziehe. Ich drehe den Hahn auf und fülle Kamillenöl ins dampfende Wasser. Seine gegipsten Arme und das rechte Bein hängen über dem Wannenrand, damit sie nicht nass werden. Ohne Scheu, aber auch ohne demonstratives Herzeigen, wie Helmut es gemacht hat, liegt er entspannt da. Sein nicht nur sehr ansehnlicher, sondern überaus schöner Penis trudelt im langsam steigenden Wasser. Vincents gesamter Körper ist wunderschön. Seine Haare sind mittlerweile nachgewachsen, dunkle Löckchen zieren seine Brust und seinen Schambereich. Er ist durch und durch männlich, mit dichten, gesunden Haaren, doch nicht so viele, dass es affenartig wirkt. Es sind genau richtig viele, sodass ich ihn gerne dort kraulen würde, bis er schnurrt.
Ganz selbstverständlich lässt er sich von mir waschen, so, als ob wir uns schon immer kennen würden. Obwohl ich nicht mit im heißen Badewasser sitze, sondern vor der Wanne auf den kalten Fliesen knie, habe ich menopausengleiche Schweißausbrüche und mein Atem beschleunigt sich. Vincent brummt, als ich mit der Seife und anschließend mit dem Waschlappen vorsichtig über seine ausgeprägten Bauchmuskeln und seine wachsende Erektion streiche. Obwohl ich so eine anatomische Reaktion bei pflegebedürftigen Männern schon unzählige Male gesehen habe, werde ich rot und suhle mich in der Vorstellung, dass ich es bin, die ihn erregt. Ich gebe Shampoo in meine Hand und massiere Haare und Kopfhaut. Dann spüle ich es gründlich mit dem Duschstrahl aus und lege dabei meine gewölbten Finger an die Stirn, damit ihm kein Schaum in die Augen läuft.
„Rasier mir bitte auch das ganze Kraut am Körper weg. Ich kann das nicht leiden so“, weist er mich an, als ob ich seine private Kosmetikerin wäre.
Schade, mir gefallen seine weichen Haare. Trotzdem hole ich meinen Damenrasierer aus dem Allibert und verteile nach Pfirsich riechenden Rasierschaum auf seiner Brust und seinem Unterkörper. Ich bin geübt darin, Männer im Intimbereich zu rasieren, doch meine Hände zittern unkontrolliert. Irgendwie schaffe ich es, ihn nicht zu verletzen. Ich täusche vor, zu prüfen, ob alle Haare und Stoppeln entfernt sind, und streichle seine nun glatte Haut. Aber eigentlich will ich ihn einfach nur anfassen.
Als ich fertig bin, wickle ich seinen großen Körper in ein Badetuch und rubble ihn trocken, während er auf dem Wannenrand sitzt. Er senkt seinen Kopf auf mein Dekolleté. Aus Müdigkeit oder weil er Nähe sucht? Egal, es fühlt sich gut an. Mein Puls rast, was mir unangenehm ist, da er in dieser Stellung bestimmt meinen synkopischen Herzschlag hören kann. Ich tupfe mit dem Handtuch seinen Nacken, seine Schultern und seine Oberarme und sauge seinen Duft auf. Er riecht gut. Frisch gebadet, nach Kamille und Pfirsich, Weichspüler und nach ihm, seinem fantastischen, unverwechselbaren, männlichen Geruch. Er gähnt laut und beißt mich dabei fast in den Busen.
„He, lass das!“, schimpfe ich lachend.
Doch in Wahrheit sehne ich mich danach, dass er weitermacht, seine Lippen um meine Nippel schließt, daran saugt, mich zum Beben bringt.
„Woher stammen deine vielen Narben?“, frage ich und streiche über eine, die quer über sein Schulterblatt verläuft.
Er setzt sich aufrecht und blafft nur „Sportverletzungen“.
Ich bin enttäuscht, da ich gehofft habe, mehr über diesen mysteriösen Mann herauszufinden. Aber es ist, als ob er eine Mauer aus Geheimnissen um sich herum aufgebaut hat und ich keine Chance habe, diese irgendwie zu überwinden. (...)

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