"Therdeban, Du wirst nicht überleben"/ Barbara Brosowski Utzinger: Ein Fremder kehrte mit ihrem Besitzer zurück.
Sie versteckte sich hinter dem Ledervorhang der Vorratskammer und lauschte. Die Stimme war ihr unbekannt, leicht und flötend, männlich. Nicht bedrohlich klingend. Aber ihr Leben hatte sie eines besseren gelehrt. Bisher war der Besuch von Fremden immer mit schlechten Geschehnissen einher gegangen, Spott und Schmerz, Verrat und Auslieferung. Sie spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Fluchtpläne manifestierten sich in ihren Gedanken, schnell schüttelte sie den Kopf. Nein, sie konnte nicht gehen. Erstens: ihr Kind. Zweitens: ohne den Schutz ihres Besitzers war sie Fleisch.
Gerne hätte sie in sein Gesicht gesehen. Seit ihr Besitzer sie vom Markt gekauft hatte konnte sie jede kleinste Veränderung seiner Stimme und seines Blickes lesen. Sie kannte seine Körpersprache, wie er sich drohend zu seiner ganzen Grösse, fast doppelt so gross wie sie, reckte, um sie dann mit gesenktem Kopf in eine Ecke zu treiben. Dann gab es Schläge.
Aber er hatte sie gerettet, hatte als Menschenfresser Wort für sie eingelegt und damit seine Kriegerehre riskiert.
Nein, Creel würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschah. Die Zeiten, als sie nur seine Ware und Sklavin war, waren vorbei.
Vorsichtig spähte sie durch einen Spalt hinaus.
Der Fremde war beim Esstisch angekommen, der noch voll schmutzigen Geschirrs war. Er war jung, viel jünger als Creel. Fuchsrotes Fell, schlank und sehnig. Ein grünes Dreieck zierte die untere Hälfte seines Gesichts, der rote Rand kennzeichnete den Hohen Rang. Sein aufrechter Gang und der hoch gehaltene Kopf verrieten seinen Stolz darauf. Ein Breega.
Oh verdammt!
Ihr Herz klopfte noch schneller. Der Fremde war einer vom Matriarchat. Sofort stiegen Erinnerungen in ihr hoch. Nackt gefesselt in einem grossen Raum, flankiert von Wachen mit eisernen Totenkopfmasken. Vor ihr hunderte gieriger Keilan, die nur darauf warteten, ein Stück Fleisch von ihr abzuschneiden- bei lebendigem Leibe.
Bitte, bitte geh einfach wieder… Bitte schick ihn weg, Creel.
Doch ihr Besitzer richtete seine eisblauem Augen genau auf ihr Versteck.
„Francesca.“
Seine Stimme war kühl, er war nicht zufrieden. Beschämt sah sich Francesca um. Kein Wunder. Sie war im Verzug mit dem Haushalt und hatte nicht aufgewischt.
Vielleicht konnte sie ihn beschwichtigen, indem sie noch rasch Tee aufsetzte. Rasch hievte sie den Eisentopf über die Feuerstelle, schürte die Glut und legte Holz nach. Alles, um sich dem Fremden nicht zu zeigen.
„Francesca!“
Creels Wut war bis in die Küche spürbar. Sie hatte raus zu kommen. Sofort. Francescas Herz raste wie ein eingesperrter Nachtvogel. Sie richtete sich auf und wischte ihren Wickelrock sauber. Ein kurzer Blick auf einen der glattpolierten Töpfe um zu prüfen, ob ihr Haar sauber gekämmt war. Das konnte Creel noch weniger ausstehen als sie zweimal Rufen zu müssen.
Mit gesenktem Kopf ging sie die Stufen hoch in den Essraum und hinüber in den Wohnraum, bis sie die vier Pfotenfüsse direkt vor sich sah. Creels Klauen, wie immer glattpoliert wie Elfenbein. Die des Fremden waren grob geschliffen, dafür trug er Goldschmuck um die Zehen. Was für ein seltsamer Kerl. Sie versuchte aus den Augenwinkel seinen Gesichtsausdruck zu erhaschen. War er erstaunt, erfreut oder angewidert? Sie konnte nur seine Hände erkennen, eine in die Hüfte gestemmt, die andere lässig an der Seite baumelnd. Die Handfläche war bandagiert.
Sie hörte, wie Creel ungeduldig ausatmete und drehte sich rasch zu ihm, den Kopf gesenkt, sodass ihr Kinn auf ihrer Brust ruhte.
„Ja, Herr?“, erkundete sie sich mit rauer Stimme.
Creel liess die Arme, die er wie immer vor sich verschränkt hielt, sinken. Eine seiner Hände war ebenfalls verbunden. Francesca runzelte die Stirn. Sie versuchte zu erkennen, ob er verwundet war. Jede Änderung an ihm bedeutete eine Änderung für sie.
Der Fremde schnaubte. „Das ist ja ein Mensch!“
Sein Lachen klang wie gluckerndes Wasser.
Francesca biss auf die Lippe. Sie war sich viele Kommentare gewohnt, es brachte sie nicht mehr aus der Fassung. Geduldig wartete sie. Creel liess sich Zeit, dramatisch wie immer. Nein. Etwas war anders. Francesca sah seinen Schatten am Boden. Wie eine heroische Statue, die Arme wieder vor der Brust verschränkt. Sein Schwanz zuckte nervös von einer Seite zur anderen. Francesca wurde flau im Magen. Ihr Besitzer zwang sie in eine Rolle, die nicht üblich war. Und Francesca spielte mit.
„Du darfst hochsehen“, befahl Creel. Sie richtete sich auf und sah dem Fremden ins Gesicht. Es war schmal mit prägnanten Wangenknochen. Olivfarbene Augen, die so nahe beieinander standen, dass man meinte, er schiele auf die eigene Nase. Seine Mundwinkel zuckten hoch, dann fielen sie wieder. Erst beim zweiten Anlauf stand das Lächeln.
„Ah, wir kennen uns.“ Er hielt ihr die Hand entgegen.
Misstrauisch besah Francesca die Geste. Ein Kontrollblick zu Creel. Er nickte. Sie durfte ihm die Hand schütteln.
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