Kekse und Kriege
"He, du Schlappschwanz, ist deine Alte jetzt auf Hartz IV, oder was treibst du dich um diese Zeit hier rum?" Jimi stand breit grinsend und mit verschlagenem Gesichtsausdruck an der Ecke.
Der Adressat dieser schnöden Beleidigung erstarrte augenblicklich zur Salzsäule. Hinter seiner rotbraun belockten Stirn tobten die Gedanken. Schlappschwanz? Und was, bitteschön, war Hartz IV? Egal, es erforderte zumindest eine milde Drohung als Reaktion.
"Noch ein Ton, Vollidiot, und ich mach dich platt!"
"Oh, mir schlottern ja schon die Beine vor Angst." Jimi kratzte sich gelangweilt am Ohr.
Die Salzsäule, die im normalen Alltag durchaus agil war und auf den Namen Tobi hörte, kam langsam in Wallung und baute sich zu voller Größe auf – allerdings immer noch mehrere Meter von dem üblen Aggressor entfernt.
"Wenn du Krieg willst, kannst du Krieg haben. Und das ist meine letzte Warnung!", knurrte er drohend.
"Was ist? Bist du zu feige zum Kämpfen, du Schluffi? Wundern würde es mich nicht ... Ich hab gerade die Laila getroffen, und sie hat mir gesteckt, dass du sie vorhin wieder mal angebaggert hast. Sie hat sich halb totgelacht dabei. Gib's auf, Alter, bei dem scharfen Schnittchen hast du keine Chance. Die steht nur auf erfahrene Kerle, nicht auf frustrierte Jungfrauen wie dich."
Frustrierte Jungfrau? Das war der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Wie sagte sein Kumpel Rocky immer so schön: Wer Wind sät, wird Sturm ernten!
Und so stürzte sich Tobi wie ein entfesselter Tornado mit einem kehlig gekrächzten "Ich bring dich um!" auf Jimi.
Damit hatte sein Kontrahent nicht gerechnet, und Tobi war mit zwei großen Sätzen bei ihm, packte ihn am Hals und warf ihn auf den Rücken.
Bäh, die langen Zotteln verfingen sich zwischen Tobis Zähnen und rochen auch eklig. Irgendwie nach … Waschmittel. Es war höchstens eine Millisekunde, in der er angewidert seinen schraubstockartigen Griff gelockert hatte, aber lange genug, dass sich die beiden zweibeinigen Furien einmischen konnten. Seine Furie hieß Kiki, packte ihn am Halsband und fragte ihn brüllend, ob er den Verstand verloren hätte.
Nein, der war intakt. Verloren hatte er nur die Nerven, aber das war doch, bitteschön, absolut nachvollziehbar! Nur offensichtlich für Kiki nicht …
Und auch nicht für die andere Furie. Die hieß Roswitha Schultheiß und beorderte Tobis Gegner nun mit einem knappen "Jimi, hierher!" an ihre Seite. Der schwarzweiße Border Collie machte sich prompt folgsam auf den Weg und nahm neben seinem Frauchen Platz – nicht ohne Tobi einen verächtlichen Blick zuzuwerfen. Sofort begann die Frau, ihrem Tier das Fell zu zausen. Jimi fiepte leise.
"Hat Ihr Hund ein Flohproblem?", fragte Kiki interessiert. Tobi musste ihr insgeheim recht geben, es sah wirklich so aus, als würde die Schultheiß ihren Hund gründlich lausen.
"Ich suche Jimi nach Verletzungen ab", entgegnete die mit eiskaltem Blick. "Und wenn ich etwas finde, rufe ich die Polizei und werde Sie anzeigen. Ihr Hund ist gemeingefährlich, und Jimi ist ein mehrfach prämierter Zuchtrüde von unschätzbarem Wert ..."
Nicht schon wieder diese Leier! Tobi knurrte wütend. Roswitha Schultheiß wohnte nur zwei Straßen weiter, und die aufregenden Abenteuer von James of Rosen Heights, genannt Jimi, amüsierten und nervten die zwei- und vierbeinige Bevölkerung des gesamten Viertels. Da sie Frührentnerin war und nichts anderes zu tun hatte, kümmerte sich Frauchen mit einer ungesunden Hingabe um den dreijährigen Border Collie. Jimi ging zweimal in der Woche zum Agility-Training (fehlte nur noch das Ballettröckchen für Frauchen und Hund, lästerte Kiki regelmäßig), durfte täglich drei Stunden in den Wald (dafür wäre Tobi durchaus auch zu haben gewesen) und wurde regelmäßig ausgiebig gebürstet (geschah ihm recht, fand Tobi, bei dem das glücklicherweise nur selten nötig war), damit er in voller Pracht bei den zahlreichen Hundeschauen auftreten konnte (nun ja, wenn man sonst nichts zu tun hatte ...). Selbstverständlich hatte das Tier auch seine eigene Website, auf der sich nachlesen ließ, welche glücklichen Hündinnen er bereits begattet hatte. Denn schließlich war Jimi 'ein mehrfach prämierter Zuchtrüde von unschätzbarem …'
Inzwischen tat es Tobi schon leid, dass er Jimi nur in den Hals gezwickt und ihm nicht die Eier abgebissen hatte. Dann hätte sich diese elende Angeberei ein für alle Mal erledigt. Er knurrte nochmals wütend in Richtung seiner schwarzweißen Nemesis und hörte, was die beiden Menschenfrauen noch zu besprechen hatten:
"Wir haben einfach zwei Rüden, die sich nicht leiden können", behauptete Kiki. "Da kann es immer mal zu Reibereien kommen. In den seltensten Fällen passiert ja etwas Ernsthaftes."
Pah, wenn die wüsste, dachte Tobi. Er hätte heute todsicher kurzen Prozess mit dem blöden Lackaffen gemacht.
"Außerdem ist es doch albern, dass wir uns jetzt streiten, nur weil sich unsere Hunde nicht mögen. Da sollten wir doch drüberstehen", fuhr Kiki fort, verzog ihr Gesicht zu einem halbwegs überzeugenden Lächeln und nahm ihre Leine noch kürzer.
"Sie haben recht", lenkte Roswitha Schultheiß zähneknirschend ein, jedoch nicht ohne hinzuzufügen: "Ich werde mir Jimi aber ganz genau ansehen, und wenn er eine Verletzung hat, gehe ich sofort zum Tierarzt und stelle Ihnen die Kosten in Rechnung. Jimi muss topfit sein, er hat morgen einen Casting-Termin für diese neue Fernsehserie."
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