7. Kapitel
Wal-Freya hob den Blick, als sich Theas Finger voller Angst in ihren Arm gruben. Thea, die an ihrem Verstand zweifelte, deutete mit den Fingern auf die Lichtpunkte, die zwischen den Bäumen schaukelten und beständig näher kamen. Die Walküre folgte Theas Fingerzeig. Hugin krächzte warnend, sprang von Wal-Freyas Schulter und zog einen Kreis über dem Haus, ehe er kreischend abdrehte und zwischen den Bäumen verschwand. Mit einem Mal spürte Thea, dass sich Wal-Freyas Muskeln spannten. Auch sie hatte das Haus entdeckt, das nun in den Schein der Lichtung rückte.
Mit einem erstaunten Laut wich Wal-Freya einen Schritt zurück. Krumme Fenster, schiefe Wände und ein verwinkeltes Dach mit mehreren Firsten, Giebeln und kleinen Türmchen ließen das Gebäude im ersten Augenblick verspielt wirken, doch es stand auf zwei riesigen Hühnerbeinen, mit denen es bedrohlich auf die Gruppe zuwackelte.
„Wir müssen hier weg!“ Thea japste panisch nach Luft.
„Zu spät!“, schnappte Wal-Freya. Sie warf ein blaues Pulver in die Luft und malte rasch eine Rune hinein.
„Was ist?“, rief Juli alarmiert und trat neben die beiden. Auch sie rang entsetzt nach Luft, als sie durch die blaue Wolke hindurch blickte.
Thea hörte zwei Schwerter aus den Scheiden fahren. Tom zog Thea zu sich und stellte sich schützend vor sie.
Schon bildete sich eine Rune aus der Wolke heraus. Thea erkannte Hagalaz, das Symbol, das an ein „H“ erinnerte. Von ihrem Abenteuer in Niflheim wusste Thea, dass Hagalaz ein mächtiger Zauber war. Nun, da es aus der Wolke heranwuchs, erkannte Thea, dass nicht nur sie sich fürchtete. Wenn Wal-Freya diesen Zauber anwandte, musste sie große Gefahr ahnen.
Das Haus kam schneller auf sie zu. Da wo die Krallenfüße den Boden trafen, hinterließen sie tiefe Spuren von niedergetrampelten Farnen und Gräsern, ein umgekippter Baumstamm barst unter den schweren Tritten, der Eisenstaub wirbelte hektisch auf. Mit ihm stoben die Schmetterlinge auseinander und verschwanden in den Tiefen des Waldes. Wal-Freya breitete schützend die Arme zu den Seiten aus und stellte sich vor Juli, Tom und Thea.
Als das Haus nur noch einige Meter von ihnen entfernt war, wurde die Haustür aufgestoßen. Mit einem Donnern dehnte sich eine zweite, rote Rauchwolke aus. Wie von einer Explosion getrieben, raste sie auf Hagalaz zu, färbte die Umgebung braun und löste die Rune schließlich auf. Als sich die Schwaden verzogen, entdeckte Thea eine Frau in der Haustür. Langes, weißes Haar wallte um ihre Schultern. Aus ihrem runzligen, zornverzerrten Gesicht funkelten dunkle, düstere Augen. Ihr Körper steckte in weiten Kleidern. Eine braune Weste schloss sich über einer dunklen Bluse, ein Faltenrock schlotterte um ihre Beine. Drohend hob sie einen ihrer knöchernen Finger und richtete ihn auf die Gruppe, während das Haus weiter auf sie zulief. (...)
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