»Ich liiiiiebe deine Lawless Lovers und ganz besonders Lillybelle und die Two-Aces-Ranch und die ganzen Tiere, ganz besonders das süße Fohlen und dieser Beauford Marshall ist ja sooo heiß – sagte ich schon, dass ich Lillybelle liebe …? Diese Szene, wie sie und Beauford im Heu, das hat ja nur so geprickelt. Wie kommst du nur immer auf so tolle Einfälle?«
»Wie
bitte?« Carrie setzte ihren Edding ab, mit dem sie gerade
schwungvoll »Herzlichst, D. C. Long« auf den Schmutztitel ihres
aktuellen Romans geschrieben hatte, und versuchte, in dem Wortschwall
einen roten Faden zu finden.
Da dies aber bereits der gefühlt
dreihundertste verbale Überfall eines Fans an diesem Tag war, hatte
Carrie leichte Schwierigkeiten, sich zu fokussieren. Sie griff nach
ihrer Wasserflasche und während sie ein paar Schlucke trank, spürte sie,
wie ihre Lebensgeister sich zaghaft zurück meldeten. Was sie jetzt
brauchen könnte, wäre ein Augenblick an der frischen Luft, aber als sie
zwanzig signierte Bücher zuvor auf ihr iPhone geschaut hatte, waren es
noch knapp drei Stunden bis Ladenschluss gewesen. Sie hoffte im Stillen,
dass sie weit vor 21:00 Uhr fertig sein würde, denn seit dem Mittag
hatte sie nicht mehr gegessen und sie merkte, wie ihr Blutzuckerspiegel
massiv in Richtung Keller ging. Außerdem gab es auf dieser Lesetour eine
eiserne Regel: Sie wollte spätestens um Mitternacht Eastern Time auf
ihrem Zimmer sein.
Wie hatte sie sich nur darauf einlassen
können, an einem Tag gleich zwei Signierstunden und eine Lesung
hintereinander zu geben – erst eine bei Barnes & Noble in Santa
Monica und dann, einmal quer durch Los Angeles, bei Vroman’s in
Pasadena. Doch Sarah, die Assistentin ihres Lektors, die sie auf dieser
Tour begleitete, konnte so überzeugend sein und der Gedanke, durch diese
Zusammenlegung eine Nacht weniger im Hotel verbringen zu müssen, war
recht verlockend gewesen.
Carrie bückte sich nach ihrer
Crossover-Bag, die sie neben ihrem Stuhl abgestellt hatte und angelte
nach einem Schoko-Riegel. Sorgfältig pulte sie das Einwickelpapier auf,
schob es etwas nach unten und nahm genussvoll einen kleinen Bissen.
Während sie das Schokoladen-Aroma genoss, griff sie erneut nach ihrem
Stift und schlug das nächste Buch auf.
Wie lautete noch gleich der Name, den sie in die Widmung schreiben sollte …?
»… aber das finde ich wirklich soooo furchtbar traurig.«
»Wie
schön«, sagte Carrie automatisch, denn sie hatte nur den langgezogenen
Vokal wahrgenommen und mit etwas Positivem assoziiert und erntete nun
ein ungläubiges Schnauben.
Ups, wie peinlich. Da war ihr
offensichtlich etwas entgangen. Sie hob den Kopf und begegnete dem
konsternierten Blick ihres Gegenübers.
»Wie schön, dass Sie
heute hier sind, Darla«, sagte sie gewandt. Da war ihr gerade im
richtigen Moment der Name wieder eingefallen. Schnell signierte sie die
gebundene Ausgabe und schob sie der Empfängerin über den Tisch zu.
Doch Darla schien nicht versöhnt, denn sie sagte: »Ich verstehe einfach nicht, wie du das deinen Fans antun kannst.«
Carrie
unterdrückte ein Aufstöhnen. Daher wehte also der Wind. Seit sie vor
zwei Wochen in einem Interview erklärt hatte, dass es keine weiteren
Folgen der Lawless Lovers geben würde, brauste ein Sturm der
Entrüstung durch ihre Fangemeinde und es verging nicht ein Tag, an dem
sie sich nicht für ihr vorlautes Mundwerk verfluchte. Dabei waren die
ersten Wochen ihrer Ostküsten-Tour überaus angenehm verlaufen – und nun
das.
Dummerweise hatte sie mit ihrer Ankündigung auch ihren
Lektor vor vollendete Tatsachen gestellt und Jonathan hatte entsprechend
sauer reagiert. Dabei hatte ihr Verlagsvertrag genau sechs Folgen
umfasst und die hatte sie gerne geschrieben. Aber bereits beim
vorletzten Band überkam sie das Gefühl, dass es Zeit wäre, die Two Aces
Ranch und ihre Bewohner zu verlassen. Und mit Lillybelles und Beaufords
Geschichte war ihr ein wunderbar runder Abschluss gelungen – und das war
etwas, das sie nie zu hoffen gewagt hatte, als sie im Juni nach Texas
gereist war, um ihre Schreibblockade in den Griff zu bekommen.
Nur
sahen ihre Leserinnen das leider etwas anders, für sie war die
Geschichte der Clayton-Familie noch lange nicht ausgeschöpft – sie
wollten, dass Lillybelle und der Vormann heirateten und Kinder
bekamen – und seit Carrie auf dieser Lesereise war, schwankte ihre
Stimmung deshalb zwischen Frustration und Selbstzweifeln. Was, wenn es
tatsächlich falsch gewesen war, die Serie zu beenden? Sie wusste, sie
befand sich in dem gleichen Dilemma wie schon viele Autoren vor ihr.
Etliche hatten den einfacheren Weg gewählt und zähneknirschend immer
weitergeschrieben. Aber für Carrie war das nie eine Option gewesen.
Zum
Glück wurde sie diesmal einer Antwort enthoben, denn eine kleine ältere
Lady, die als Nächste an der Reihe war, zwinkerte ihr vergnügt zu und
meinte: »Ich kann es kaum erwarten, Ihren nächsten Roman zu lesen,
Kindchen. Ich mag Ihre Art zu schreiben.«
Während Carrie
ihren Filzschreiber zückte und sagte: »Das freut mich, Madam, für wen
ist es?«, schnappte sich die gekränkte Darla ihr signiertes Exemplar
und stolzierte aus dem Buchladen, ohne Carrie eines weiteren Blickes zu
würdigen. ›Und noch ein Fan weniger‹, dachte Carrie resigniert.
»Schreiben Sie ›für Lexie‹. Das ist meine Enkelin. Sie verschlingt Ihre Bücher genauso wie ich.«
Eine
Stunde später, nachdem sich die Schlange vor ihrem Buchtisch aufgelöst
und sie für den Inhaber der Buchhandlung noch hundert weitere Hardcover
zum späteren Verkauf mit ihrem Pseudonym signiert hatte, war sie endlich
in den Feierabend entlassen worden.
Sarah hatte sie abgeholt
und war mit ihr ins Sheraton gefahren, das in der gleichen Straße wie
Vroman’s Bookstore lag, um ihr dann zu eröffnen, dass Jonathan Kurtz
sich in der Stadt befand und kurzfristig ein Arbeitsessen angesetzt
hatte.
Normalerweise wäre Carrie den Kilometer bis zum Hotel
gelaufen. Aber sie wollte schnellstens auf ihrem Zimmer einchecken, sich
etwas frisch machen und zum Dinner umziehen und dabei die leise Panik
verdrängen, die sie bei dem Gedanken an ihren Lektor befiel. Seit diesem
verflixten Interview war sie ihm aus dem Weg gegangen, obwohl sie sich
durchaus kein Fehlverhalten vorzuwerfen hatte, wie ihre Agentin,
Charlene, versichert hatte. Carrie war allerdings auch bewusst, dass sie
die Aktion durchaus diplomatischer hätte abwickeln können. Und nun
schien eine Konfrontation unausweichlich.
Dabei wünschte sie
sich nichts weiter, als unter die Dusche zu steigen, sich einen kleinen
Salat und ein paar Sandwiches über den Zimmerservice zu bestellen und
dann wollte sie nur noch Yancys Stimme hören.
Den ganzen Tag
hatte sie sich schon auf diesen ganz privaten Augenblick gefreut. Der
abendliche Anruf war mittlerweile ihr gemeinsames Ritual, egal ob sie
gerade auf Lesereise war oder in ihrem Apartment in Chicago. Zu Beginn
ihrer Long-Distance-Beziehung hatten sie via Skype Kontakt gehalten,
doch schnell gemerkt, dass sie ihren Gesprächen eine viel persönlichere
und auch erotischere Komponente verleihen konnten, wenn sie beide ihr
Kopfkino anschalteten. Für gewöhnlich lief es so ab, dass ihr Yancy eine
reale Begebenheit ins Gedächtnis rief oder von einer kleinen Fantasie
erzählte und sie dachte sich dann eine passende, atmosphärische Szene
aus. Abwechselnd beschrieben sie dann, was gerade passierte und was der
eine mit dem anderen machte, bis sie sich zum Höhepunkt brachten.
Carrie überlief
allein bei dem Gedanken an Yancys dunkle Stimme ein erwartungsvolles
Kribbeln. Insgeheim nannte sie es seine Pferdeflüsterer-Stimme und immer
wenn er in diesem Tonfall zu ihr sprach, schmolz sie dahin. Wie sollte
sie es nur die nächsten Wochen ohne ihn aushalten?
Sie
merkte, wie ihr der Hals eng wurde. Heute würde es wieder einmal nur für
ein kurzes ›Hallo‹reichen, wie so oft in den letzten Tagen, denn bis
sie vom Essen mit Jonathan zurück war, würde ihr Cowboy vermutlich schon
längst schlafen. Drei Stunden Zeitunterschied und ein völlig anderer
Arbeitsrhythmus – auf der Ranch begann der Arbeitstag bereits um sechs
Uhr morgens – machten ihre Fernbeziehung nicht eben einfacher.
Carrie seufzte und wählte auf ihrem iPhone die Nummer des Vormanns von Bluebonnet.
»Hey, Kitten.«
»Jonathan
hat mich eben zum Arbeitsessen bestellt«, platze Carrie ohne Umschweife
heraus, »und hier in Los Angeles hassen mich die Leserinnen auch und
Thanksgiving ist noch fast einen ganzen Monat hin.«
»Und was sind die schlechten Nachrichten?«
Carrie hörte das Grinsen in seiner Stimme und sagte halb vorwurfsvoll, halb im Scherz: »Du nimmst mich nicht ernst.«
»Deine
Leserinnen lieben dich. Wäre es nicht so, würdest du nicht den ganzen
Tag hinter einem Büchertisch sitzen und Widmungen schreiben.«
»Vielleicht kommen sie auch nur vorbei, um mir die Meinung zu sagen«, erwiderte Carrie betrübt.
»Yep,
das muss der Grund sein.« Diesmal konnte sie sein breites Grinsen nicht
nur hören, sondern sah es förmlich vor sich. »Und jetzt steigst du in
diese sexy, grünen Schuhe und dann gehst du zu deinem Arbeitsessen und
zeigst diesem Mister Kurtz, wer das Sagen hat.«
»Du erinnerst dich an meine grünen Schuhe?«
»Yes,
Ma’am. Und da ich morgen meinen freien Tag habe, wirst du mich nachher
anrufen und mir erzählen, wie dein Gespräch verlaufen ist – oder …«,
sagte er in gedehntem Texas-Slang und seine Stimme rutschte ein paar
Töne nach unten, »… wir machen etwas ganz anderes.«
»Das
würde mir gefallen, Yancy«, hauchte Carrie und verspürte ein angenehmes
Prickeln bei dem Gedanken an ein weiteres ihrer besonderen nächtlichen
Ferngespräche.
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