Samstag, 12. Dezember 2015

Texas Dreams [Leseprobe] Lita Harris


»Ich liiiiiebe deine Lawless Lovers und ganz besonders Lillybelle und die Two-Aces-Ranch und die ganzen Tiere, ganz besonders das süße Fohlen und dieser Beauford Marshall ist ja sooo heiß – sagte ich schon, dass ich Lillybelle liebe …? Diese Szene, wie sie und Beauford im Heu, das hat ja nur so geprickelt. Wie kommst du nur immer auf so tolle Einfälle?«

»Wie bitte?« Carrie setzte ihren Edding ab, mit dem sie gerade schwungvoll »Herzlichst, D. C. Long« auf den Schmutztitel ihres aktuellen Romans geschrieben hatte, und versuchte, in dem Wortschwall einen roten Faden zu finden. 
Da dies aber bereits der gefühlt dreihundertste verbale Überfall eines Fans an diesem Tag war, hatte Carrie leichte Schwierigkeiten, sich zu fokussieren. Sie griff nach ihrer Wasserflasche und während sie ein paar Schlucke trank, spürte sie, wie ihre Lebensgeister sich zaghaft zurück meldeten. Was sie jetzt brauchen könnte, wäre ein Augenblick an der frischen Luft, aber als sie zwanzig signierte Bücher zuvor auf ihr iPhone geschaut hatte, waren es noch knapp drei Stunden bis Ladenschluss gewesen. Sie hoffte im Stillen, dass sie weit vor 21:00 Uhr fertig sein würde, denn seit dem Mittag hatte sie nicht mehr gegessen und sie merkte, wie ihr Blutzuckerspiegel massiv in Richtung Keller ging. Außerdem gab es auf dieser Lesetour eine eiserne Regel: Sie wollte spätestens um Mitternacht Eastern Time auf ihrem Zimmer sein. 
Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können, an einem Tag gleich zwei Signierstunden und eine Lesung hintereinander zu geben – erst eine bei Barnes & Noble in Santa Monica und dann, einmal quer durch Los Angeles, bei Vroman’s in Pasadena. Doch Sarah, die Assistentin ihres Lektors, die sie auf dieser Tour begleitete, konnte so überzeugend sein und der Gedanke, durch diese Zusammenlegung eine Nacht weniger im Hotel verbringen zu müssen, war recht verlockend gewesen. 
Carrie bückte sich nach ihrer Crossover-Bag, die sie neben ihrem Stuhl abgestellt hatte und angelte nach einem Schoko-Riegel. Sorgfältig pulte sie das Einwickelpapier auf, schob es etwas nach unten und nahm genussvoll einen kleinen Bissen. Während sie das Schokoladen-Aroma genoss, griff sie erneut nach ihrem Stift und schlug das nächste Buch auf. 
Wie lautete noch gleich der Name, den sie in die Widmung schreiben sollte …? 
»… aber das finde ich wirklich soooo furchtbar traurig.«
»Wie schön«, sagte Carrie automatisch, denn sie hatte nur den langgezogenen Vokal wahrgenommen und mit etwas Positivem assoziiert und erntete nun ein ungläubiges Schnauben. 
Ups, wie peinlich. Da war ihr offensichtlich etwas entgangen. Sie hob den Kopf und begegnete dem konsternierten Blick ihres Gegenübers. 
»Wie schön, dass Sie heute hier sind, Darla«, sagte sie gewandt. Da war ihr gerade im richtigen Moment der Name wieder eingefallen. Schnell signierte sie die gebundene Ausgabe und schob sie der Empfängerin über den Tisch zu. 
Doch Darla schien nicht versöhnt, denn sie sagte: »Ich verstehe einfach nicht, wie du das deinen Fans antun kannst.«
Carrie unterdrückte ein Aufstöhnen. Daher wehte also der Wind. Seit sie vor zwei Wochen in einem Interview erklärt hatte, dass es keine weiteren Folgen der Lawless Lovers geben würde, brauste ein Sturm der Entrüstung durch ihre Fangemeinde und es verging nicht ein Tag, an dem sie sich nicht für ihr vorlautes Mundwerk verfluchte. Dabei waren die ersten Wochen ihrer Ostküsten-Tour überaus angenehm verlaufen – und nun das. 
Dummerweise hatte sie mit ihrer Ankündigung auch ihren Lektor vor vollendete Tatsachen gestellt und Jonathan hatte entsprechend sauer reagiert. Dabei hatte ihr Verlagsvertrag genau sechs Folgen umfasst und die hatte sie gerne geschrieben. Aber bereits beim vorletzten Band überkam sie das Gefühl, dass es Zeit wäre, die Two Aces Ranch und ihre Bewohner zu verlassen. Und mit Lillybelles und Beaufords Geschichte war ihr ein wunderbar runder Abschluss gelungen – und das war etwas, das sie nie zu hoffen gewagt hatte, als sie im Juni nach Texas gereist war, um ihre Schreibblockade in den Griff zu bekommen. 
Nur sahen ihre Leserinnen das leider etwas anders, für sie war die Geschichte der Clayton-Familie noch lange nicht ausgeschöpft – sie wollten, dass Lillybelle und der Vormann heirateten und Kinder bekamen – und seit Carrie auf dieser Lesereise war, schwankte ihre Stimmung deshalb zwischen Frustration und Selbstzweifeln. Was, wenn es tatsächlich falsch gewesen war, die Serie zu beenden? Sie wusste, sie befand sich in dem gleichen Dilemma wie schon viele Autoren vor ihr. Etliche hatten den einfacheren Weg gewählt und zähneknirschend immer weitergeschrieben. Aber für Carrie war das nie eine Option gewesen.
Zum Glück wurde sie diesmal einer Antwort enthoben, denn eine kleine ältere Lady, die als Nächste an der Reihe war, zwinkerte ihr vergnügt zu und meinte: »Ich kann es kaum erwarten, Ihren nächsten Roman zu lesen, Kindchen. Ich mag Ihre Art zu schreiben.« 
 Während Carrie ihren Filzschreiber zückte und sagte: »Das freut mich, Madam, für wen ist es?«, schnappte sich die gekränkte Darla ihr signiertes Exemplar  und stolzierte aus dem Buchladen, ohne Carrie eines weiteren Blickes zu würdigen. ›Und noch ein Fan weniger‹, dachte Carrie resigniert.
»Schreiben Sie ›für Lexie‹. Das ist meine Enkelin. Sie verschlingt Ihre Bücher genauso wie ich.« 

Eine Stunde später, nachdem sich die Schlange vor ihrem Buchtisch aufgelöst und sie für den Inhaber der Buchhandlung noch hundert weitere Hardcover zum späteren Verkauf mit ihrem Pseudonym signiert hatte, war sie endlich in den Feierabend entlassen worden. 
Sarah hatte sie abgeholt und war mit ihr ins Sheraton gefahren, das in der gleichen Straße wie Vroman’s Bookstore lag, um ihr dann zu eröffnen, dass Jonathan Kurtz sich in der Stadt befand und kurzfristig ein Arbeitsessen angesetzt hatte.
Normalerweise wäre Carrie den Kilometer bis zum Hotel gelaufen. Aber sie wollte schnellstens auf ihrem Zimmer einchecken, sich etwas frisch machen und zum Dinner umziehen und dabei die leise Panik verdrängen, die sie bei dem Gedanken an ihren Lektor befiel. Seit diesem verflixten Interview war sie ihm aus dem Weg gegangen, obwohl sie sich durchaus kein Fehlverhalten vorzuwerfen hatte, wie ihre Agentin, Charlene, versichert hatte. Carrie war allerdings auch bewusst, dass sie die Aktion durchaus diplomatischer hätte abwickeln können. Und nun schien eine Konfrontation unausweichlich. 
Dabei wünschte sie sich nichts weiter, als unter die Dusche zu steigen, sich einen kleinen Salat und ein paar Sandwiches über den Zimmerservice zu bestellen und dann wollte sie nur noch Yancys Stimme hören.
Den ganzen Tag hatte sie sich schon auf diesen ganz privaten Augenblick gefreut. Der abendliche Anruf war mittlerweile ihr gemeinsames Ritual, egal ob sie gerade auf Lesereise war oder in ihrem Apartment in Chicago. Zu Beginn ihrer Long-Distance-Beziehung hatten sie via Skype Kontakt gehalten, doch schnell gemerkt, dass sie ihren Gesprächen eine viel persönlichere und auch erotischere Komponente verleihen konnten, wenn sie beide ihr Kopfkino anschalteten. Für gewöhnlich lief es so ab, dass ihr Yancy eine reale Begebenheit ins Gedächtnis rief oder von einer kleinen Fantasie erzählte und sie dachte sich dann eine passende, atmosphärische Szene aus. Abwechselnd beschrieben sie dann, was gerade passierte und was der eine mit dem anderen machte, bis sie sich zum Höhepunkt brachten. 
Carrie überlief allein bei dem Gedanken an Yancys dunkle Stimme ein erwartungsvolles Kribbeln. Insgeheim nannte sie es seine Pferdeflüsterer-Stimme und immer wenn er in diesem Tonfall zu ihr sprach, schmolz sie dahin. Wie sollte sie es nur die nächsten Wochen ohne ihn aushalten? 
Sie merkte, wie ihr der Hals eng wurde. Heute würde es wieder einmal nur für ein kurzes ›Hallo‹reichen, wie so oft in den letzten Tagen, denn bis sie vom Essen mit Jonathan zurück war, würde ihr Cowboy vermutlich schon längst schlafen. Drei Stunden Zeitunterschied und ein völlig anderer Arbeitsrhythmus – auf der Ranch begann der Arbeitstag bereits um sechs Uhr morgens – machten ihre Fernbeziehung nicht eben einfacher. 
Carrie seufzte und wählte auf ihrem iPhone die Nummer des Vormanns von Bluebonnet. 
»Hey, Kitten.« 
»Jonathan hat mich eben zum Arbeitsessen bestellt«, platze Carrie ohne Umschweife heraus, »und hier in Los Angeles hassen mich die Leserinnen auch und Thanksgiving ist noch fast einen ganzen Monat hin.«
»Und was sind die schlechten Nachrichten?«
Carrie hörte das Grinsen in seiner Stimme und sagte halb vorwurfsvoll, halb im Scherz: »Du nimmst mich nicht ernst.« 
»Deine Leserinnen lieben dich. Wäre es nicht so, würdest du nicht den ganzen Tag hinter einem Büchertisch sitzen und Widmungen schreiben.«
»Vielleicht kommen sie auch nur vorbei, um mir die Meinung zu sagen«, erwiderte Carrie betrübt. 
»Yep, das muss der Grund sein.« Diesmal konnte sie sein breites Grinsen nicht nur hören, sondern sah es förmlich vor sich. »Und jetzt steigst du in diese sexy, grünen Schuhe und dann gehst du zu deinem Arbeitsessen und zeigst diesem Mister Kurtz, wer das Sagen hat.« 
»Du erinnerst dich an meine grünen Schuhe?« 
»Yes, Ma’am. Und da ich morgen meinen freien Tag habe, wirst du mich nachher anrufen und mir erzählen, wie dein Gespräch verlaufen ist – oder …«, sagte er in gedehntem Texas-Slang und seine Stimme rutschte ein paar Töne nach unten, »… wir machen etwas ganz anderes.«
»Das würde mir gefallen, Yancy«, hauchte Carrie und verspürte ein angenehmes Prickeln bei dem Gedanken an ein weiteres ihrer besonderen nächtlichen Ferngespräche. 

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